Puppy Play ist eine Form von Pet Play oder Animal Roleplay, bei dem Menschen in die Rolle von nicht-menschlichen Tieren schlüpfen, in diesem Fall von Hunden oder anderen Kaninen oder ihren Handlern. Woher kommt dieser Fetisch? Dieser Artikel ist eine gekürzte Version meines Essays über die Ursprünge von Pet Play und Puppy Play, den du hier als PDF herunterladen kannst.
1. Ein Handler, eine Mutter, ein Hund und ein Kind
Ein paar Jahre nach meinem Umzug nach Berlin – lange bevor ich meine Stadtführung über Berlins Geschichte des Sex begann – besuchte ich das schwul-lesbische Straßenfest. Es ist ein queeres Event, das jedes Jahr ein Wochenende vor dem CSD stattfindet. Ich stand an einem Infostand, als mir plötzlich etwas zu meiner Linken auffiel. Ein sehr großer, muskulöser, dominant aussehender Mann stand dort, ganz in Leder gekleidet. Er unterhielt sich mit einer Frau, die ganz normal gekleidet war, und plauderte freundlich mit ihr.
Ein Mann, der sich als Hund verkleidet
Neben der Frau saß ein kleines Kind, ich schätze etwa fünf Jahre alt, und ich nehme an, die Frau war seine Mutter. Die Mutter unterhielt sich mit dem Mann in Leder. Und das Kind lachte unkontrolliert über einen Hund, der es direkt vor ihm anbellte. Nur war der Hund kein Hund. Stattdessen war es ein anderer Mann, der wie ein Hund angezogen war. Und der Mann in Leder war sein Hundeführer, sein Handler, der ihn an der Leine hielt.
Das Kind und der Hund
Der „Hund“ bellte das Kind an. Das Kind lachte. Und die Mutter unterhielt sich mit dem Handler, als wäre das die normalste Sache der Welt. Das war eines der ersten Male, dass ich mit Pet Play konfrontiert wurde. (Und es sind Momente wie diese, die mich dazu inspiriert haben, mich mit der Sexualität in Berlin zu beschäftigen und meine Stadtführung über Berlins Geschichte der Sexualität zu starten). In den folgenden Jahren erlebte dieser Fetisch einen Aufschwung, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Pet Play, insbesondere Puppy Play, wurde zu einem so beliebten Fetisch, dass ich davon fasziniert war. Ich wollte verstehen, warum immer mehr Menschen einen sexuellen Kick daraus ziehen, sich als nicht-menschliche Tiere zu verkleiden. Und warum ist der Hund die am häufigsten verwendete Tierart für Pet Play?
2. Was sind Pet Play und Puppy Play?
Aber zuerst müssen wir definieren, was Pet Play und Puppy Play sind.
Was ist Pet Play?
Pet Play oder Animal Roleplay ist eine Form des Rollenspiels, bei der Menschen die Rolle von nicht-menschlichen Tieren oder ihren Handlern übernehmen, oft, aber bei weitem nicht immer in einem sexuellen Kontext. Pet Play hat viele Verbindungen zur BDSM-Gemeinschaft. Es spielt oft mit Elementen von Disziplin oder Dominanz und Unterwerfung.
Was ist Puppy Play?
Pup Play oder Puppy Play ist eine besondere Form des Pet Play. Dabei schlüpfen Menschen in die Rolle von Hunden oder anderen Hunden, vor allem Welpen, sowie deren Handler. Es scheint, dass Hunde am häufigsten für Pet Play eingesetzt werden, und in diesem Artikel werde ich versuchen, eine Antwort darauf zu finden, warum das so sein könnte.
Pet Play und Puppy Play sind nicht zwangsläufig sexuell
Pet Play und Puppy Play haben nicht immer etwas mit Sex zu tun. Manche Menschen treiben auch ausschließlich nicht-sexuelles Pet Play, andere wechseln zwischen sexuellem und sozialem Pet Play. Abgesehen von der sexuellen Lust haben Studien auch andere Motive für Puppy Play gefunden, nämlich
- Entspannung, Therapie und Flucht vor sich selbst,
- Erwachsenenspiel und lebendige Körperlichkeit,
- die Erweiterung und der Ausdruck des Selbst,
- und Beziehungen und Gemeinschaft.
Vor allem das Motiv der Entspannung, der Therapie und der Flucht vor sich selbst hängt mit dem zusammen, was Puppy Player als „Headspace“ bezeichnen, in den sie sich fallen lassen. In Studien haben Puppy Player diesen „Headspace“ als einen „Zen-ähnlichen, präverbalen Zustand“ beschrieben, in dem sie sich nach einem harten Arbeitstag entspannen können.
Pet Play und Puppy Play sind weder Zoophilie noch eine Pathologie
Ich möchte an dieser Stelle klarstellen, dass Pet Play keine Bestialität oder Zoophilie ist, d.h. Menschen, die Sex mit nicht-menschlichen Tieren haben. Pet Play ist ein einvernehmliches sexuelles oder soziales Spiel, an dem ausschließlich einwilligende erwachsene Menschen beteiligt sind. Abschließend möchte ich noch klarstellen, dass ich Pet Play nicht als krankhaft betrachte, ganz im Gegenteil. Wissenschaftler/innen sind der Meinung, dass Pet Play, wie andere Formen von BDSM, kinky und sozialem Spiel, sogar therapeutische Vorteile haben kann. Diese können von Entspannung und Achtsamkeit bis hin zu traumabewältigenden Effekten reichen.
3. Was sind sexuelle Fetische?
Nachdem ich nun Pet Play und Puppy Play definiert habe, werde ich mich in diesem Artikel speziell mit dem sexuellen Aspekt des Puppy Play befassen, indem ich meine Theorie über die Ursprünge sexueller Fetische anwenden möchte. Dazu muss ich zunächst definieren, was ich unter einem Fetisch verstehe.
Die Idee im Kopf der Fetischist*innen
Oft wird der Begriff Fetisch mit Objekten in Verbindung gebracht, wie z. B. bei Fußfetischen. Meine Definition ist viel breiter angelegt. Ich definiere einen Fetisch in erster Linie als etwas, das im Kopf stattfindet. Es geht um Praktiken und Gedanken, die oft (aber nicht immer) sexuelle Erregung hervorrufen. Fetische, wie ich sie definiere, gehen über den reinen vaginalen, oralen oder analen Sex hinaus, ebenso wie über reine Masturbation oder Cybersex. Sie provozieren sexuelle Erregung nicht oder nicht nur durch körperlichen Kontakt, sondern auch – und das ist entscheidend – durch die Vorstellung im Kopf der Fetischist*innen.
Ein Beispiel
Nehmen wir zum Beispiel an, ein Mann genießt rezeptiven Analsex, weil er das Gefühl genießt, dass etwas in seinen Anus eindringt. In diesem Fall würde ich das nicht als Fetisch bezeichnen. Nehmen wir jedoch an, dass dieser Mann es als erniedrigend empfindet, in den Arsch gefickt zu werden, und dass diese Vorstellung von Erniedrigung zu seiner Erregung beiträgt. In diesem Fall würde ich das als Fetischisierung bezeichnen. Der Mann denkt auf die eine oder andere Weise (entweder weil er es glaubt oder weil die Gesellschaft es ihm vorschreibt), dass er sich nicht von einem anderen ficken lassen sollte. Und dieses Tabu macht es für ihn so erregend. Das ist es, was ich einen Fetisch nenne.
Soziale oder kulturelle sexuelle Fetische
Ich unterscheide zwischen persönlichen oder individuellen und sozialen oder kulturellen sexuellen Fetischen. Soziale oder kulturelle sexuelle Fetische gibt es relativ häufig bei einer größeren Anzahl von Menschen innerhalb einer bestimmten Kultur. In westlichen Kulturen könnte man z.B. BDSM, Natursekt, Sex mit Fäkalien (auch „Scat“ genannt), bestimmte Rollenspiele, Sex in öffentlichen Räumen und ja, auch Pet und Puppy Play nennen.
Persönliche oder individuelle sexuelle Fetische
Persönliche oder individuelle Fetische sind jedoch solche, die nur unter einer kleinen Anzahl von Menschen oder vielleicht nur innerhalb einer Person in einer bestimmten Kultur existieren. Zum Beispiel, wenn es jemanden anmacht, jemandem beim Essen eines Apfels zuzusehen. Oder wenn er die Zahnarztrechnungen eines anderen bezahlt. Ich habe Leute getroffen, die darauf stehen. Aber das ist so selten, dass ich das als persönlichen Fetisch bezeichnen würde.
Unscharfe Grenzen
Die Grenze zwischen den beiden ist bestenfalls fließend. Als Faustregel würde ich sagen: Wenn du damit Geld verdienen kannst, ist es ein sozialer oder kultureller Fetisch. In Berlin gibt es zum Beispiel Partys für viele Fetische, die manche Leute für persönliche Fetische halten würden, die es aber tatsächlich so oft gibt, dass es Sexpartys für sie gibt. Mehr darüber erfährst du in meiner Stadtführung über Berlins Geschichte der Sexualität und in meiner Stadtführung über Die Geschichte der Berliner Clubs.
4. Spezies und Sozialisierung
In meiner Fetisch-Theorie konzentriere ich mich auf kulturelle, sexuelle Fetische, d.h. solche, die in einer bestimmten Kultur relativ regelmäßig vorkommen. Das liegt daran, dass ich Fetische mit soziologischen Theorien der Sozialisation analysiere. Sozialisation ist der Prozess, der uns unbewusst lehrt, so zu handeln, zu sprechen und sogar zu denken, wie es in unserer Kultur als „normal“ gilt. Weitere Einzelheiten findest du in der ausführlichen PDF-Version dieses Artikels.
Der Mensch ist ein Tier und gleichzeitig das Gegenteil von einem Tier
Einige Elemente, die bei unserer Sozialisierung eine große Rolle spielen, sind neben z. B. dem Geschlecht oder der Ethnie (engl: Race) auch die Spezies und der Kultur-Natur-Dualismus. Letzterer kann sich auch als Mensch-Tier-Dualismus manifestieren. Kulturell sehen wir Tiere oft als das Gegenteil von Menschen. Wissenschaftlich gesehen ist der Mensch jedoch Teil des Tierreichs. Wir sind eine Tierart unter vielen. Wenn wir aber von Tieren sprechen – und diese Bedeutung ist vorherrschend – dann meinen wir Millionen verschiedener Arten, vom Wurm bis zum Gorilla, wobei der Mensch ausgeschlossen ist – obwohl der Gorilla mehr mit dem Menschen gemeinsam hat als mit dem Wurm. Mit den Worten der Sozialwissenschaftlerin Birgit Mütherich: Der Mensch ist ein Tier und gleichzeitig das Gegenteil von einem Tier.
Das Tier in uns
Dieser Mensch-Tier-Dualismus ist zentral für die Idee der Beherrschung der Natur durch die (westliche) menschliche Kultur. Das Tier wird zum Schlüsselsymbol für diese Beherrschung der Natur. Die Dichotomie des Menschen als Gegenteil des Tieres wird von uns allen im Laufe unserer Sozialisation verinnerlicht. Dies führt jedoch nicht nur zur Kontrolle und Unterwerfung von Tieren „außerhalb des Menschen“. Es führt insbesondere auch zur Kontrolle und Unterwerfung dessen, was wir gelernt haben, als „das Tier in uns selbst“ zu sehen.
Bemerkenswerterweise sind viele unserer Fetische direkt oder indirekt mit diesem Bild von Natur und „wilden Tieren“ verbunden. Es sind diese Bezeichnungen, die „wilden Sex“ wild machen. Piss-Sex, BDSM, Exhibitionismus, Sex mit Fäkalien, und so weiter: Entweder sind all diese Fetische direkt oder indirekt mit natürlichen/körperlichen Prozessen verbunden, oder sie erinnern uns an unsere eigene Natürlichkeit, an das „Tier in uns“. Oder sie hängen mit dem Verlust der Kontrolle über dieses „innere Tier“ zusammen – eine Kontrolle, die wir durch unsere verinnerlichte Sozialisation mühsam erlernt haben. In meiner Stadtführung über Berlins Geschichte der Sexualität erfährst du mehr über die Geschichte der Sexualität und einige soziologische und psychologische Konzepte, die dahinter stehen – alles in Augmented Reality!
5. Die unbeabsichtigte soziale Konstruktion von Puppy Play
Es ist klar, dass manche Menschen aus dem genauen Gegenteil von dem, was uns beigebracht wurde, sexuelle Lust ziehen. Sie genießen es, beim Pet Play in die Rolle eines Tieres zu schlüpfen. Wie ist das also möglich?
Den inneren Druck abbauen
Meine Vermutung ist, dass diese Form der Sozialisierung unweigerlich zu einem enormen inneren Druck führt. Wir können diese inneren Spannungen zwischen dem, was wir sind (d.h. ein Tier unter vielen) und dem, was wir sein sollen (d.h. das Gegenteil eines Tieres), nicht immer kontrollieren. Deshalb haben diese Spannungen das Potenzial, sich im Spiel zu entladen, manchmal sogar im sexuellen Spiel, indem wir uns genau in das hineinfallen lassen, was wir eigentlich vermeiden sollten. Mit anderen Worten: Es kann uns anmachen, das zuzulassen, was wir eigentlich ständig unterdrücken sollten. Das Verbotene, die Gefahr, das Tabu entwickelt gleichzeitig ein mächtiges Potenzial der Erregung und Erleichterung. Weil wir unser „inneres Tier“ immer kontrollieren müssen, kann es für uns unglaublich erregend sein, das Verbotene zuzulassen, uns fallen zu lassen und „zum Tier zu werden“. Das ist die Geburtsstunde des Pet Play-Fetischs.
Warum Hunde?
Aber warum sind Hunde von allen Tierarten die am häufigsten verwendete? Natürlich gibt es ähnliche Fetische mit anderen Tierarten, wie Katzen, Pferden, Schweinen, Füchsen usw. Aber keine Tierart scheint sich besser für Pet Play zu eignen als Hunde. Und dafür gibt es einen Grund: Die Domestizierung keiner anderen Tierart ist im Alltag der meisten Menschen so sichtbar.
Die Domestizierung des Tieres ist bei dem unterwürfigen Hund viel deutlicher zu erkennen als bei der weniger menschenbezogenen Katze. Auch Schweine, Kühe und andere Nutztiere werden von Milliarden Menschen sozial unterdrückt. Und ihre Unterwerfung ist in der Massentierhaltung viel grausamer als die vergleichsweise sanfte Domestizierung des Hundes. Allerdings geschieht dies in fensterlosen Gebäuden, zu denen die meisten Menschen keinen Zugang haben. Ihre Unterdrückung ist stärker, aber unsichtbar. Daher hat sie keinen großen Einfluss auf die Sozialisierung der meisten Menschen. Was bleibt, ist die sichtbarste Form der Domestizierung des Tieres: der Hund.
Um mehr über Sexualität zu erfahren, habe ich die Stadtführung Berlins Geschichte der Sexualität in Augmented Reality gestartet. Es gibt auch eine Online-Version dieser Stadtführung, für die du nicht in Berlin sein musst. Mehr über die Online-Version erfährst du hier.
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